Sei kein Arschloch! Die Donots werden 30. Seit 1993 spielen die Münsteraner knackigen Pop-Punk und krachige Rockhymnen mit Texten, die sich kritisch mit diesem Land auseinander setzen. Frontmann Ingo Knollmann war noch nicht mal volljährig, als das Debüt erschien. Ihr erstes deutschsprachiges Album „Karacho“ katapultierte die Band 2015 weiter nach oben. Und auch mit dem engagierten neuen Werk „Heut ist ein guter Tag” wollen die Donots Anspruchsvolles massentauglich machen. Mit Ingo Knollmann sprach Olaf Neumann über apokalyptische Zeiten, das Hungrigbleiben und das Live-Gefühl

Ihr musikalisches Metier ist Punk, Rock, Hardcore, Indie und Pop. Haben Sie den Anspruch, Ihr Genre mit neuen Aspekten weiter zu entwickeln?

Ingo Knollmann: Punk im weitesten Sinne lebt ein bisschen von der Romantik der Redundanz. Ich glaube nicht, dass man den Kulturauftrag hat, ein Genre weiterzuentwickeln. Aber es ist an jeder Band, sich trotzdem mit jeder Platte ein bisschen weiterzuentwickeln. Unsere Prämisse bei diesem Album war ganz klar: keine Kompromisse, keine Wiederholungen!

Punk war anfangs ein Statement gegen alles Etablierte, gegen Regeln im Allgemeinen und den Zwang zur Stromlinienförmigkeit. Ist Punk heute noch mehr als nur ein Musikstil?

Knollmann: Punk ist schon mehr, hat aber längst nicht mehr den Schockeffekt, den er in den 1970ern und 1980ern noch hatte. Das muss er auch gar nicht, weil die Gesellschaft einem Wandel unterworfen ist. Zum Beispiel gehört es heutzutage zum guten Ton, tätowiert zu sein. Mit bunten Haaren erschreckst du auch keine Oma mehr. Aber die Inhalte des Punk haben weiterhin Bestand. Du kannst entweder destruktiv unterwegs sein oder Punk als Auffangbecken betrachten für Leute, die nicht überall hineinpassen. Etwas kaputt zu machen, heißt auch, etwas Besseres aufzubauen. Diesen Gedanken finde ich immer noch romantisch.

Hand aufs Herz: Wie oft haben Sie in letzter Zeit gedacht: “Heut ist ein guter Tag”?

Knollmann: Ich denke das wirklich oft. Ich habe zwei tolle Kinder, die mich super glücklich machen. Zudem durften wir als Band im vergangenen Jahr viel Erfreuliches erleben. Alle anderen hatten mit Tourabsagen und schleppenden Ticketverkäufen zu kämpfen, wir hingegen konnten uns nicht beschweren. Im letzten Sommer sind wir als Special Guest zwischen der Tour der Ärzte und der Tour der Toten Hosen hin- und hergesprungen. Wir haben Rock am Ring und Rock im Park vor jeweils 90.000 Leuten eröffnet, wo die Hosen dann unser geheimer Special Guest waren. Wir sind für Bad Religion beim Highfield-Festival eingesprungen und Ende des Jahres in Münster vor insgesamt 13.000 Leuten aufgetreten.

Das klingt, als gleiche Ihr Leben einer rasenden Fahrt auf der Überholspur.

Knollmann: (lacht) Ich stehe zumindest nicht mit Standgas auf dem Parkplatz bei durchgetretenem Pedal.

Gab es bei Ihnen Zeiten, in denen “Lichtgeschwindigkeit nicht mehr reichte”?

Knollmann: Das denke ich super oft. Ich bin ein sehr ungeduldiger Mensch. „Everything now!“ ist zu einem Credo bei uns in Studio geworden. Vor 20 Jahren sind wir noch mit einer fertigen Vorproduktion ins Studio gegangen, um dann dort die Reinschrift an den Start zu bringen. Aber „Everything now!” ist eine super Herangehensweise, wenn man mit dem Produzenten Kurt Ebelhäuser arbeitet. Bei ihm weiß man morgens noch nicht, was man abends aufgenommen haben wird. Wir schreiben die Songs immer zusammen im Studio und lassen dabei den Moment regieren.

Entstehen so auch die Texte?

Knollmann: Wenn mir spontan eine Idee kommt, wird die erst einmal notiert. Das passiert mir oft abends in einer Kneipe beim Bier oder Rotwein. 98 Prozent davon ist mir am nächsten Morgen kreuzpeinlich, aber zwei Prozent kommen ins Töpfchen. Und wenn wir dann im Studio arbeiten, fange ich an, gute Refrainzeilen zu bauen aus dem, was ich bereits habe. Das Ergebnis ist eine Platte wie „Heut ist ein guter Tag”.

In den Medien ist die Rede von wahlweise apokalyptischen Lebensmittelpreisen, apokalyptischen Temperaturen oder apokalyptischer Stimmung in Russland bzw. der Ukraine. Apokalypsen zeichnen sich ja durch radikale Veränderungen der Lebensbedingungen aus. Fühlt die Gegenwart sich für Sie ein bisschen an wie der Anfang vom Ende der Welt?

Knollmann: Ja total. Das konterkariert natürlich die Lebensfreude, die wir auf der Bühne ausstrahlen. Eigentlich bin ich eher auf der pessimistischen Seite geparkt, was die Menschheit angeht. Es werden die gleichen Fehler immer wieder gemacht, nur in einem neuen Gewand. Da wird nicht Geschichte geschrieben, sondern abgeschrieben. Das ist ganz traurig. Wer hätte gedacht, dass auf einmal der Kalte Krieg wiederkommt. Pandemien wurden früher in Science-Fiction-Filmen thematisiert. Und jetzt leben wir in solch einer Situation. Hier in Köln fährt man an etlichen verlassenen Teststationen vorbei. Das hat etwas Postapokalyptisches: Die erste Zombieinvasion liegt hinter uns, mal schauen, was gleich noch passiert. Das ist besorgniserregend und traurig bei den ganzen Opfern, die es momentan gibt.

Das Album beginnt demensprechend düster mit den Worten: „Das ist der Weltuntergang“ – aus einem Kindermund. Wenn Ihre Kids erwachsen sind, wird unsere Welt definitiv eine andere sein. Sie werden dann ausbaden müssen, was wir heute tun. Wie gehen Sie als Vater damit um?

Knollmann: Früher dachte ich, ich möchte keine Kinder in diese Welt setzen. Aber heute kann ich sagen, dass Vater zu werden das Beste ist, was mir jemals passiert ist. Wir brauchen mehr gute Menschen auf der Welt, wir können das Fortpflanzen ja nicht den ganzen Arschgeigen überlassen. Wenn unser Beitrag ist, eine gute Erziehung weiterzugeben, dann ist das das Rüstzeug für eine bessere Welt. Das klingt jetzt sehr kitschig, aber so ist es ja wirklich. Der wichtigste Tag ist immer heute und die wichtigsten Personen die guten Menschen, mit denen man sich umgibt.

Fühlen Sie sich persönlich dafür verantwortlich, dabei mitzuhelfen, die Welt wieder aufzubauen, die die Industrieländer zerstören?

Knollmann: Es wäre vermessen zu behaupten, dass ich das könnte. Niemand muss zwangsläufig ein großer Politiker oder Diplomat werden, aber wenn jeder mit seinen Mitteln an einer besseren Welt arbeitet, dann haben wir schon eine Chance. Das Credo ist so einfach: Sei kein Arschloch! Würde man das beherzigen in jedweder Form, hätte man zumindest einen kleinen Beitrag geschaffen. Diesen Ansatz finde ich toll.

Wie denken Sie über die Aktionen der Klimaaktivisten der „Letzten Generation“, die zu immer radikaleren Protestmitteln greifen? Bringt eine solche Form des Protests überhaupt etwas?

Knollmann: Solche Aktionen haben Strahlkraft, das sieht man ja. In der Hinsicht haben sie schon etwas gebracht. Ich finde es nur so tragisch, dass gerade Kunst dafür herhalten muss. Was kann die dafür? Man könnte ja zu Häusern von ausgesprochenen Nazis gehen und die Wände besprühen. Lasst eure Wut an etwas Schlechtem in der Welt aus! Ich verstehe die Aktion als solche, kritisiere aber, dass sie nicht den richtigen Adressaten hat. Die Kunst ist nicht schuld.

Aber die Aktivisten kleben sich ja auch auf Straßen fest.

Knollmann: Sie tun alles, was der Sache hilft, muss man sagen. Aber man darf durchaus hinterfragen, ob jeder Austragungsort ein guter ist. Das muss sich jeder gefallen lassen, der sich zu solchen Aktionen hinreißen lässt.

Verstehen Sie die Donots als Protestband?

Knollann: Wenn wir schon eine gewisse Reichweite haben und ein gewissen Publikum ansprechen können, vor allem Kids, wenn wir schon eine Gatewayband sind, um in eine Subkultur einzusteigen, dann will ich auch mein Pulver nicht verschießen mit irgendwelchen Happy-Go-Lucky-Songs. Dann möchte ich keine Lieder à la Blink 182 schreiben, die vom Masturbieren handeln. Das wäre mir zu eindimensional. Ich weiß, dass es das auch geben muss, man nennt es Eskapismus. Aber wir wollen ein kleines bisschen mehr tun. Wir haben in der Coronazeit für unsere Crew Spenden gesammelt mit den Einnahmen aus einem Live-Album. Die kompletten Erlöse aus unserer Vinylsingle „Willkommen zuhaus” sind an das wunderbare Jamel-Festival geflossen mitten in einem Nazi-Dorf. Früher habe ich auch immer im Circle-Pit Spenden gesammelt.

Wie haben sie das denn geschafft?

Knollmann: Ich habe mich einfach mit einem Klingelbeutel ins Publikum gestellt. Die Leute sind dann um mich herumgelaufen und haben da Geld hineingeworfen. Am Ende der Tour hatten wir für Kein Bock auf Nazis und andere Initiativen insgesamt 14.000 Euro erwirtschaftet. Man kann mit Dingen, die einen selbst glücklich machen, auch andere Menschen glücklich machen.

Sie singen ausgenzwinkernd: „Wir sind radikale Passivisten. Beim Nichtstun sind wir echte Extremisten. Wir bleiben aktiv auf dem Sofa sitzen”. Werfen Sie da Ihrer eigenen Generation Bequemlichkeit vor?

Knollmann: Nein, ich kriege aber nur oft mit, dass Leute sagen: Na klar seien sie gegen Nazis oder für den Umweltschutz, aber wenn es darum geht, persönlich vor Ort zu sein, was ja faktisch etwas bringt, kommen von ihnen meistens komische Ausreden. Darüber mache ich mich in dem Lied lustig.

Dass man sich gegen Rechtsradikalismus nicht genug engagieren kann, zeigt die aktuelle Razzia gegen Reichsbürger. Die verhafteten Verschwörer planten angablich sogar Exekutionen.

Knollmann: Das rückt das Thema mal wieder in den Fokus, weil diese Verschwörer gerade ausgehoben worden sind. Aber Rechtsradikalismus schwelt in Deutschland seit Jahrzehnten und findet immer wieder seinen Weg an die Oberfläche. Da kann niemand so tun, als sei das jetzt überraschend.

Wenn man sie danach fragt, gibt ein Großteil der Menschen an, dass Klima und Umwelt schon wichtig seien. Aber dazu bereit, etwas an seinem Verhalten zu ändern, sind jedoch die wenigsten. Wie erklären Sie sich das?

Knollmann: Weil man es sich bequem gemacht hat. Ich kann das zum Teil auch verstehen. Man wird ja zugeballert mit schlechten Nachrichten. Ich glaube, deshalb will eigentlich jeder am Ende des Tages seine Schäfchen im Trockenen haben und sich seine Blase erhalten. Ich kann sehr gut nachvollziehen, weshalb Leute politikverdrossen sind, aber ich sage mir selbst mit voller Überzeugung in beschissenen Zeiten: Jetzt erst recht gehe ich raus und tue gute Dinge!

Der Mensch sei das Ergebnis eines Unfalls nach dem Urknall – und nur aus Versehen am Leben, heißt es in “Kometen“. Wird die Menschheit jemals begreifen, was für ein Geschenk sie da bekommen hat?

Knollmann: Wahrscheinlich drehen sich genau in dem Moment, wenn der Komet auf der Erde einschlägt, alle um und sagen: “O fuck, der Komet hat ja recht!” Ich halte Menschen partiell für schlau, aber die Menschheit insgesamt für strunzdumm. Leider. Ich bin selbst ein Bauer.

Glauben Sie noch an die Möglichkeit, uns aus der bestehenden Misere “herauszutechnologisieren”?

Knollmann: Ich möchte es gerne hoffen, weil ich mich mit tollen Menschen umgebe. Ich wünsche es mir wirklich für alle tollen Menschen auf diesem Planeten. Allzu positiv blicke ich der Sache allerdings nicht entgegen. Die Chancen sind ja da, werden meistens aber für Quatsch genutzt.

Was sollten wir jetzt tun, um unser Leben besser zu machen?

Knollmann: Vielleicht einfach mal kurz innehalten und sich fragen: Wie würde ich gerne selbst behandelt werden von Menschen? Oder auch von Tieren, wenn es da ein Zusammenleben gäbe. Möchte ich mich auf ein Jenseits verlassen und mich im Diesseits dementsprechend wie Kalle Arsch benehmen? Würde es nicht mehr Sinn machen, Krankenhäuser statt Kirchen zu bauen?

Wenn irgendwann ein Supervulkan ausbricht oder ein Komet reinsaust, ist eines sicher: die Erde wird die Menschheit überleben. Finden Sie diesen Gedanken irgendwie tröstlich?

Knollmann: Ja und nein. Manchmal wünsche ich mir, dass das alles vorbei ist. Aber wenn ich dann darüber nachdenke, merke ich, dass es mir doch nicht egal ist. Nein, ich möchte, dass das hier funktioniert! Wir haben nur diese eine Chance, es gibt keinen Planet B.

Wie stellen sie sich das Leben in 50 Jahren vor?

Knollmann: Hoffentlich so schön, dass es meine Kinder gut haben werden. Ich denke, dass dann viele technologische Prozesse noch mehr verschnellert sein werden. Die Playstations und Xboxes werden dann der Hammer sein! Ansonsten hoffe ich, dass sich bis dahin nicht ganz merkwürdige Grenzen verschoben haben werden und noch mehr Leute in dubiosen Straflagern verschwinden. Ich fände es toll, wenn es in 50 Jahren eher weniger als mehr Grenzen geben würde, aber danach sieht es momentan nicht aus.

 

 

 

Donots: „Heut ist ein guter Tag“ (Solitary Man Records/Warner) – VÖ: 03.02.2022

Formate: 3LP-1CD-Deluxe-Box/2LP/CD/Tape

 

DONOTS LIVE: HEUT IST EIN GUTER TAG-TOUR 2023

20.04.2023 Karlsruhe // Substage

21.04.2023 München // Backstage

22.04.2023 Wiesbaden Doppelshow (mittags) // Schlachthof

22.04.2023 Wiesbaden Doppelshow (abends) // Schlachthof

27.04.2023 Köln // E-Werk

28.04.2023 Hamburg // Edel Optics Arena

29.04.2023 Berlin // Columbiahalle

01.11.2023 (CZ) Prag // Rockcafé

02.11.2023 (A) Wien // Arena

04.11.2023 (CH) Zürich // Dynamo

29.11.2023 Leipzig // Werk 2

Tickets unter: https://donots.merchcowboy.com/tickets/